Zum bundesweiten Vorlesetag wurde den Klassen 10 aus dem Buch von Janne Teller vorgelesen: “ Krieg. Stell dir vor, er wäre hier.“
Der Vorlesetag, der von der ZEIT, der Stiftung Lesen und der Deutsche Bank Stiftung initiiert und von der FS Deutsch organisiert wurde, hinterließ nicht nur des Textes wegen eine bleibende Erinnerung.
Es wurde zwei Flüchtlinge aus Aleppo in Syrien eingeladen, die bereit waren, über ihre Flucht und die Beweggründe zu sprechen. Die Schüler und Schülerinnen hatten im Unterricht Fragen vorbereitet, die den Einstieg in ein Gespräch ermöglichten. Die Flüchtlinge stellten die gefährlichen Fluchtwege dar. Hauptursache für ihre Flucht war die totale Zerstörung ihrer Stadt.
Den Schülern wurde diese Zerstörung mit Hilfe von Bildern deutlich, die den Zustand vor und nach der Bombardierung darstellen.
In einem Video wurde die Entstehung und Entwicklung des Syrienkonflikts deutlich gemacht.
Es lasen vor: Frau Gropper, Frau Boss, Pfarrer Lutz und Herr Hoffmann.
Informationen zum Buch:
Perspektivwechsel
VON ANDRE KAGELMANN
Mit „Krieg. Stell dir vor, er wäre hier“ liegt nun auch auf Deutsch der markante Nachfolger zum umstrittenen Jugendroman „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ der dänischen Autorin Janne Teller vor. Und beide Werke haben durchaus einiges gemeinsam, denn wie schon beim Vorgänger steht in „Krieg“ nicht die literarisch-ästhetische Gestaltung im Vordergrund: Sowohl „Nichts“ als auch „Krieg“ zeichnen sich durch einen holzschnittartig skizzierten Zugriff auf eine existentielle Problematik sowie durch eine deutliche pädagogische Ausrichtung aus, wobei „Krieg“ dieses Konzept noch radikalisiert – allerdings ohne wie der Vorgänger zu skandalisieren. Dabei zielt „Krieg“ zudem nicht auf eine individuelle bzw. soziale Sinnstiftung, sondern nimmt sich, in Verbindung mit der Bewusstmachung unterschiedlicher kultureller Wertvorstellungen, der Migrationsproblematik an.
Auch in diesem Werk ist es Janne Teller nicht um eine ausdifferenzierte Argumentation zu tun. Vielmehr liegt der Clou von „Krieg“, das bereits 2001 entstanden und 2004 in Dänemark erschienen ist, in der Verkehrung der Verhältnisse der realen Welt. Die Leserinnen und Leser werden – schon im programmatischen Untertitel – aufgefordert, an einem Gedankenexperiment teilzunehmen: Es ist hier nicht die arabische oder afrikanische Welt, die im Chaos des Krieges versinkt, sondern Europa. Es sind nicht Araber, Palästinenser oder Afrikaner, die aus ihren Heimatländern fliehen, sondern Deutsche, Franzosen oder Italiener. Unterstützt wird dieser Plot durch den editorischen Kunstgriff, länderspezifisch modifizierte Ausgaben zu verlegen: Dänischen Leserinnen und Lesern wird ein dänisches Flüchtlingsdrama nahegebracht, deutschen ein deutsches; für Veröffentlichungen in weiteren Ländern ist eine Fortführung dieses Konzepts geplant. Krieg und Revolution finden in der erzählten Welt also nicht mehr irgendwann in der Vergangenheit oder irgendwo in der Welt statt, sondern jetzt und hier. Es ist dieser Distanzverlust durch Umkehrung, aus dem das Werk sein pädagogisches Potenzial bezieht. „Krieg“ setzt also auf Projektion anstelle von Empathie.
Unterstützt wird dieses Programm noch durch die Anlage der Geschichte als Du-Erzählung, die Leserin und der Leser werden also immer direkt angesprochen: Man erfährt Gewalt, Elend, Hunger, Diskriminierung sozusagen am eigenen Leib. Und diese deutliche Erzählintention wird auch noch durch die Gestaltung des Bändchens verstärkt: Es kommt in der Aufmachung eines Reisepasses daher. Ergänzt wird der Text durch eine Vielzahl von eindrücklichen Farbillustrationen (von Helle Vibeke Jensen), die von einer Vignette bis hin zur doppelseitigen Skizze reichen. Im Nachwort schließlich weist die Autorin das Werk, dass sie sehr missverständlich als „fiktiven Essay“ ausgibt, als „Einladung an die Vorstellungskraft“ aus und bezieht sich explizit auf die Charta der Menschenrechte; der normative Zugriff wird hier also nochmals hervorgehoben.
In ihrem didaktischen Konzept setzt Teller allerdings konsequent auf den pädagogischen Hammer: Ihre kontrafaktische Welt bleibt eine grobe Skizze, angelegt auf eine möglichst drastische Zuspitzung. Daraus ergeben sich zwangsläufig inhaltliche Pauschalisierungen und verzerrende Vergleiche zwischen dem Jetzt-und-Hier und der Fiktion, stichwortartig genannt seien die Themen Asyl in Verbindung mit dem Lagerleben, Pluralismus, Religion und Scheinehe. Besonders drastisch und durchaus unplausibel werden Problemkonstellationen auf die Figur der Schwester des vierzehnjährigen Protagonisten gehäuft. Überhaupt treten, wie schon in „Nichts“, erzählerische Qualitäten leider sehr deutlich hinter die dominante pädagogische Intention zurück. – Es ist bei dem sehr geringen Umfang dieses Bändchens (59 Seiten im Sedezformat, inklusive Illustrationen und Nachwort) nicht ersichtlich, warum hier nicht sorgfältiger literarisch-ästhetisch gestaltet wurde.
Trotzdem sollte das Werk den Weg in die Klassenzimmer finden, weil es durch den Kunstgriff der Verkehrung der Welt bewusst machen kann, dass Frieden und Menschenwürde Themen sind, die jeden von uns angehen – nicht zuletzt auch deshalb, weil wir selbst einmal diese Güter entbehren könnten. Außerdem macht das Werk ex negativo deutlich, welches Privileg es bedeutet, im heutigen Westeuropa aufzuwachsen. Und für das literarische Lernen finden sich ja genügend andere skandinavische Autorinnen und Autoren …
Quelle: Lesebar Aleki Internet-Empfehlungs- und Rezensionszeitschrift für Kinder und Jugendliteratur