Am Donnerstagabend, nach einem achtstündigen Schultag, fuhren die Schüler der Klasse 9a mit ihrem Deutschlehrer, Herrn Eckhardt, und zwei engagierten Eltern nach Lindau, um dort auf eine alte Dame zu treffen, auf deren Besuch sie sich schon im Unterricht vorbereitet hatten.
Nach dem Besuch eines beliebten Pappschachtelrestaurants und einem kleinen Abstecher an den stimmungsvoll beleuchteten Hafen zum Gruppenfoto ging die Gruppe dann zum Treffpunkt im Stadttheater Lindau, um dort auf den „Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt zu warten. Die Württembergische Landesbühne unter der Regie von Christof Küster zeigt das Stück gerade in einer Adaption für den Theaterinnenraum; im Vorjahr war es open-air aufgeführt worden. Die Kulisse stellt eine liegende Häuserfassade dar, die sowohl horizontal als auch vertikal bespielbar ist, was überraschende Effekte ermöglicht.
Die Handlung folgt im Wesentlichen der Vorlage Dürrenmatts. Eine Milliardärin meldet ihren Besuch in einer völlig verarmten Stadt an. Dort war ihr als junges Mädchen übel mitgespielt worden. Ihrem Schwur folgend kehrt sie nun zurück, um sich nun ihrerseits „Gerechtigkeit“ zu kaufen, denn nichts anderes tut sie, wenn sie ihre Milliarden-schenkung an die Bürger der Stadt an die Bedingung knüpft, dass ihr ehemaliger Liebhaber, der sie ins Unglück gestürzt hatte, ermordet werden soll. Die Bürger lehnen nach anfänglicher Begeisterung über das Geschenk entsetzt die Bedingung ab, aber die Zeit spielt für die alte Dame und einer nach dem anderen erliegt der Versuchung des Geldes und rechtfertigt seinen Verrat am Mitbürger damit, dass dieser sich ja zuerst fehlverhalten habe. Es kommt wie es kommen muss, das Opfer wird von Bürgern gemeinschaftlich verurteilt und ermordet.
Die Korrumpierbarkeit des Menschen und der schändliche Umgang mit einer jungen Frau und sind leider nach wie vor oder mehr denn je aktuelle Themen und erklären den anhaltenden Erfolg dieser tragischen Komödie.
Allerdings nahm der Regisseur für diese Inszenierung einige Änderungen im Bereich der Figuren und der Requisite vor. So wurde zum einen der Effekt des Grotesken etwas gemindert und durch komische Einlagen ersetzt, zum andern fand eine Aktualisierung statt, wenn beispielsweise eine Remington Schreibmaschine durch einen Laptop ersetzt wird oder der Butler der Milliardärin mit Ursula von der Leyen und Gerhard Schröder telefoniert. An der Aussage des Stückes hat dies allerdings weniger geändert als der Schluss, bei dem die Regie doch deutlich von der Vorlage abweicht. Bleibt man bei Dürrenmatt resigniert oder empört darüber zurück, wie unverfroren Menschen ihr Geld einsetzen, um sich Vorteile zu verschaffen oder ungestraft andere ins Unglück zu stürzen, bekommt man bei Küsters Inszenierung eine abschließende Sanktion der korrupten Bürger vorgeführt, indem der Scheck mit der Milliarde nach dem Mord an ihrem Mitbürger in Flammen aufgeht.
Inwieweit diese Modifikation die Wirkung und Intention des Stücks verändert, das wird die Schüler noch weiter beschäftigen.
Der Ausflug und die Aufführung bereiteten den Schülern und Begleitern auf jeden Fall großen Spaß, auch wenn der Morgen danach natürlich etwas müde begann.